Vom Geschlecht emanzipiert?
20 mai 2025

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Omar GUERRERO
Editos

 

 

Der Schnitt – auf den das Wort Sex zurückgeht – war schon immer unbequem. Er  sollte Pflanzen und andere Lebewesen in zwei Hälften trennen, in männliche und weibliche. Daraus ergaben sich zwei Plätze. Für die Sprachwesen (parlêtres) ist die Aufteilung nicht symmetrisch. Nicht so metrisch*, unmessbar also, kein gemeinsames Maß.

 

Der Glaube hat lange Zeit dazu gedient, diese beiden Partner miteinander zu verbinden. Wie der Name schon sagt, sorgte die Religion für die Verbindung. Sie hatte eine beruhigende, relativ komfortable Wirkung auf das Subjekt, sie hielt die Kluft zwischen dem einen und dem anderen in Schach – ohne ihnen jedoch die Gewalt einer schlecht tolerierten Andersartigkeit zu ersparen.

 

Da sich das westliche Subjekt heute von Gott – einer anderen Form des Glaubens – emanzipiert glaubt, glaubt es, sein Objekt, seinen  anderen, ohne Vermittlung erfassen zu können.

 

Unsere jungen (und auch weniger jungen!) Patienten weichen jeder Form von ziviler, moralischer oder religiöser Autorität aus und erzählen uns, wie sie mit ähnlichen Anwendungen eine Freizeitdroge, einen Partner für den Abend oder eine Pizza konsumieren. In der ruhigen Anonymität der Bildschirme, die sich nun in den Taschen unserer Kinder befinden, ist die Pornografie nur der Aperitif – angeblich füllt sie auch andere Taschen, was es unmöglich macht, sie zu überwachen…

 

Und in dieser Umgebung, die zum Weinen banal ist, wie Piaf es sang, sehen wir unsere zwei Cherubim auf der Suche nach Orientierung in unseren Praxen und Institutionen auftauchen.

 

Sind wir vom Glauben zur Rohheit übergegangen?

 

Hat die Psychoanalyse Antworten, die nicht reaktionär oder traditionell sind? Weniger dumm  als andere? Ihre ethische Positionierung wird während unserer Studientage im Juni eine gute Gelegenheit haben, diese Angelegenheit auf eine etwas neue und hoffentlich hörbare Art und Weise zu artikulieren. Haben Sie Ihre Eintrittskarte?

Omar Guerrero

 

Anm.d.Ü : * im Französischen eine Assonanz: pas symétrique – pas si métrique