Hallo, Dr. Freud?
17 avril 2024

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ROTH Thierry
Editos
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Die verschiedenen analytischen Vereinigungen beschäftigen sich zunehmend mit den möglichen und notwendigen Entwicklungen unserer Disziplin im Hinblick auf die Veränderungen unserer Welt und der Subjektivität. Da haben sie durchaus Recht! Aber wie groß ist das Gewicht der Vorurteile und der persönlichen Überzeugungen in der Arbeit jedes Einzelnen?

 

Freud, Patriarch und Mann seiner Zeit, hat es dennoch verstanden, Frauen, Homosexuellen, Kindern „neutral und wohlwollend“ zuzuhören, weit jenseits der Moralvorstellungen seiner Zeit. Und Lacan war ein traditionsbewusster Bürger des XX. Jahrhunderts, aber war er nicht dennoch einer der einfallsreichsten und subversivsten Analytiker?

 

Einige bevorzugen heute eine feministischen oder gar schwesterliche (Schluss mit der Brüderlichkeit!) Psychoanalyse, oder auch eine Emanzipation von ihren großen Konzepten (die in der Zeit des Patriarchats ausgearbeiteten wurden), aber wir warten ungeduldig darauf zu erfahren, mit welchen Konzepten sie über unsere Klinik berichten werden …

 

Die neuen Umgangsweisen mit dem Sprechen und der Sprache, der Kastration, Übertragung, dem Trieb, dem Namen-des-Vaters, der Sexuation, dem Begehren, dem Genießen usw. zu untersuchen, setzt voraus, dass man sich all dieser Begriffe bedienen kann, die von unseren „alten Meistern“ nicht ohne Schwierigkeiten oder gute Gründe ausgearbeitet wurden. Das heißt, man muss sie auf neue Weise hinterfragen und eventuell, wenn einige das Talent dazu haben, einige neue Konzepte, die sich als richtig und nützlich erweisen könnten, hinzufügen. Aber diese verschiedenen Notionen unter dem Vorwand, sie seien veraltet und also überholt, zu verwerfen, kann keinesfalls einen Fortschritt darstellen.

 

Eine der wichtigsten Fragen, die sich uns heute stellt, ist daher, ob wir dem was auf unseren Diwanen gesagt wird, gewachsen sind und in der Lage sind, unsere Fragen und Meinungsverschiedenheiten ernsthaft und argumentativ zur Diskussion zu stellen… Oder ob wir, wie einige Anzeichen befürchten lassen, in vulgäre Forderungen und ideologische Streitereien verfallen werden.

 

Das würde dann darauf hinauslaufen, die Psychoanalyse entgegen Freuds Empfehlung zu einer „Weltanschauung“ machen zu wollen.

 

Aber das ist zugegebenermaßen schon lange her.

 

Thierry Roth