Das weibliche Begehren
21 janvier 2003

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VINCENT Denise
Textes
Concepts psychanalytiques

Mann und Frau kommen beide unter dem Register des Mangels zum Begehren und zu ihrem geschlechtlichen Standpunkt.

Die Besonderheit des weiblichen Begehrens wäre, dass Frauen in manchen Momenten, die ich versuchen will, zu erläutern, als Frau verschwinden wollen. Um dies zu erreichen, werden sie einen grundlegenden Teil ihrer Weiblichkeit und deren Merkmale ablehnen: sie fühlen sich vom Zunichtewerden bedroht.

Blicken wir einmal zurück…

Um in die Sprache einzutreten, hat das kleine Subjekt – der Junge wie auch das Mädchen – darauf verzichten müssen, der Phallus seiner Mutter, d. h. der Signifikant des mütterlichen Begehrens, zu sein. Es hat um diesen Signifikanten trauern und auf ein Objekt zurückgreifen müssen. Das entsteht im Spiegelstadium, das Lacan zwischen dem 6. und 18. Lebensmonat beim Baby einordnet. Dieses Objekt richtet sich nach dem Spiegelbild des Kindes, als welches es sich vom Bild seiner Mutter unterscheidet. « Objekt a » hat Lacan dieses imaginäre Objekt, in dem das Subjekt sein Sein wiederfindet, genannt.

Es tritt an die Stelle des fehlenden Signifikanten. Auf diese Weise wehrt sich das Subjekt dagegen, zu verschwinden. Lacan sagt : « das Begehren stützt sich auf eine Fantasie, von der mindestens ein Fuss im Anderen steht und gerade derjenige, der zählt… und besonders wenn sie dazu kommt, zu humpeln ».

Oft schaffen es Mädchen, früher zu sprechen als Jungen. Sehr früh treten Mädchen in eine Rivalität mit ihren Müttern ein. Sie sprechen wie ihre Mütter. Sie sind kleine Frauen.

Es gibt einen speziell weiblichen Symbolisationsvorgang. Mit einer Beobachtung, die die archaische Verbindung, die das Kind an seine Mutter bindet, aufzeigt, werde ich versuchen, meine Behauptungen zu veranschaulichen.

Wir schauten uns die Ausstellung der Bildhauerkunstwerke Camille Claudels mit zweien unserer Enkelkinder an. Siloé sass auf den Schultern ihres Grossvaters; sie war etwas über 3 Jahre alt, und Marie, 18 Monate alt, sass auf den Schultern ihres Vaters. Sie freuten sich offensichtlich beide darüber, in dieser beherrschenden Position über den Köpfen der Besucher und über denen ihrer Mutter und Grossmutter zu sein. Im hinteren Teil der Hauptgalerie zog eine Skulptur ihre Blicke auf sich. Sie stellte einen jungen Mann dar, der über seinen Kopf das Medusenhaupt, das er gerade abgeschlagen hat, schwenkt. In der anderen Hand hält er ein von Blut triefendes Schwert. Ich begann mit umständlichen Erklärungen – an die ich mich nicht erinnere – über das Schicksal, das für diese böse Frau bestimmt ist. In der anderen Galerie waren eine Reihe von entzückenden Oberkörpern kleiner Mädchen auf Säulen ausgestellt.

Siloé stellte mit ihrer klarsten Stimme fest: « Die böse Frau hatte allen kleinen Mädchen den Kopf abgeschlagen »…

Die kleine Siloé reagierte auf das Thema der kastrierten Frau mit einer Logik, die die Mutter zu derjenigen machte, die in einer früheren Zeit das Mädchen mit Verstümmelung bedroht hat. Wir sehen, dass « die mütterliche Verheerung » – ein anderer, von Lacan übernommener Ausdruck – ihren Einfluss rückwirkend ausübt.

Kleine Mädchen haben sehr früh ein Kind als Gabe vom Vater erwartet, um sich über die Feststellung hinwegzutrösten, dass ihre Mütter woanders hinschauten: zum Vater natürlich und später auch zum Baby, das geboren werden sollte.

Bei kleinen Mädchen wird zuerst der väterliche Phallus einverleibt. Durch die Identifizierung mit den Jungen stellen Mädchen sich den fehlenden Penis vor.

Der Mangel muss symbolisiert werden. Mädchen gelangen vom imaginären Verlust zum symbolischen Verlust des Geschlechtsorgans. Der eigentliche weibliche Symbolisierungsvorgang besteht darin, dass sie sich selbst für das verlorene Objekt halten. Ihre Körper halten nicht mehr stand und werden für sie zum Symbol einer verlorenen Einheit. Bis dahin spiegelte ihnen der Blick ihrer Mütter ein undurchlöchertes, unzerrissenes Bild wieder. Mit dem Wissen um die mütterliche Kastration müssen Frauen auf dieses sprungfreie Bild verzichten. Doch das Misslingen dieser Symbolisierung kann durch Zerstückelungs-Erscheinungen, somatische Hysteriesymptome und die Angst, verschlungen zu werden, zum Ausdruck kommen.

Wenn diese Symbolisierung gelingt, dann finden Frauen ihr Ideal im Vater, das heisst, diese Einheit, die ihnen feht. Wenn sie einen Mann lieben, dann lieben sie ihn genauso wie sie ihren Vater geliebt haben und sie erwarten alles von ihm: « Ich werde so sein wie du willst, aber unter der Voraussetzung, dass du mich liebst. Wenn du mich verlässt, dann sterbe ich… « .

Frauen treten also gegen ein bisschen Liebe in den Dienst des Begehrens ihres Mannes ein. Doch sie verlieren sich als Subjekt, wenn sie sich mit dem Begehren des Anderen identifizieren. Warum spalten Frauen sich? Sie sind « nicht ganz », da sie eine Beziehung mit dem Phallus haben können und gleichzeitig die Nostalgie vom Blick des Anderen behalten können, aber wenn sie sich als Objekt des Begehrens des Anderen bilden, dann werden sie zu den Sackgassen ihrer Beziehung zum mütterlichen Anderen zurückgeführt.